Den Vampirchen ihr Plaisierchen – Park Chan-Wooks adaptiert Zolas “Therese Raquin” als Vampirdrama “Thirst”

Priester Sang-hyun (Song Kang-ho) meldet sich freiwillig zur Erforschung eines Impfstoffes gegen eine tödliche Seuche. Als einziger überlebt der von den Ärzten des Forschungsteams für tot Erklärte die Krankheit. Doch nur menschliches Blut kann die Vireninfektion aufhalten. Pech für Sang-hyun, er ist durch diese Blutabhängigkeit nun ein Vampir. Vom Töten von Menschen hält er nichts. Diese für eine Horrorfilmgestalt übermäßige Feinfühligkeit hat sich bei Leinwandvampiren so eingebürgert. Menschenblut trinken nur die Bösen unter ihnen. Über die fatalen Folgen übermäßigen Genusses hält ein Klinikarzt angesichts der komatösen Stiefmutter Sang-hyuns eine warnende Predigt, doch Sang-hyun kann vom Lebenssaft nicht lassen. In “Thirst” verhält sich der Priester wenig moralisch. Die Suizidalen und Glaubensfanatiker, welche er von der Beichte kennt, werden zu seiner Blutbank. Notfalls treibt Sang-hyun Selbstmordkandidaten über Internetforen auf. Damit an der Doppelmoral des Priesters kein Zweifel bleibt, zeigt “Thirst” die Sättigung von sexuellem und physischem Durst in expliziten Szenen. Mittels der detaillierten Bilder drückt sich “Thirst” um die psychologische Ebene der priesterlichen und menschlichen Heuchelei. Andere Menschen zu Vampiren machen, indem er sie sein Blut trinken lässt, lehnt Sang-hyun ab, auch wenn sie darum bitten. Ob er aus Skrupel oder Egoismus so handelt, verrät “Thirst” nicht. Bei der jungen, mit einem infantilen Stiefbruder verheirateten Tae-ju (Kim Ok-bin) gerät Sang-hyuns Vorsatz jedoch ins Wanken. Sie wird ebenfalls zur Untoten. Ihr unliebsamer Gatte hingegen soll dauerhaft unter die Erde.

Vampire, die keine Menschen töten wollen und in menschliche Partner verliebt sind, haben in Transsylvanien vermutlich eigene Selbsthilfegruppen, so zahlreich flattern sie über die Kinoleinwände. “Thirst“ macht aus dem überstrapazierten Thema eine Liebesgeschichte, in der das Paar sich wahrhaftig bis aufs Blut quält. Der Titel “Thirst” wird zur Metapher für Morddurst, Rachedurst und Verlangen. Es muss wie ein Unfall aussehen, als der triefnasige Ekelstiefbruder Tae-jus im See versenkt wird. Doch das Gewissen lässt dem Alptraumpaar keine Ruhe. Die Wasserleiche liegt wortwörtlich zwischen ihnen. Tae-jus böse Stiefmutter trifft der Schlag. Als Wachkomaleiche erweitert sie die lebenden Toten zum skurrilen Trio. “Thirst” gibt dem Vampirfilm die lange entbehrte Komik zurück. Sang-hyuns Entdecken der Nebeneffekte des Vampirseins wie Blutdurst, Sonnenempfindlichkeit und übermenschliche Stärke,  inszeniert “Thirst” als schwarzhumorige Umgestaltung des Alltags. Blutsauger haben nur einen anderen Rhythmus, versucht er der da noch menschlichen Tae-ju zu erklären. Als sie selbst Vampirin ist, versteht sie dies besser, als ihm Sang-hyun lieb ist.

Leider dürstet es in “Thirst” den Regisseur derart nach Exzessen, dass statt des titelgebenden “Thirst” nur Übersättigung verbleibt. In Cannes hinterließ “Thirst” Irritationen. Der Film beginnt als Glaubensdrama angesichts einer schrecklichen Epidemie, wird zur Horrorkomödie und setzt zu einer zarten Romanze an, die in eine psychische und physische Gewalttour mündet. Die darin aufgebaute Atmosphäre ertränkt “Thirst” in Körperflüssigkeiten diverser Natur. Zum Klassiker reicht es nicht, jener Status bleibt Zola vorbehalten. Die Toten hätte Thirst” besser ruhen gelassen, ob Blutsauger oder Schriftsteller.

Titel: Thirst
Start: 15. Oktober
Regie und Drehbuch: Park Chan-Wook
Darsteller: Song Kang-ho, Kim Ok-bin, Shin Ha-Kym, Eriq Ebouaney
Verleih: MFA+ Filmdistribution
www.mfa-film.de

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